Wenn Menschen mehr Haut zeigen - Überlegungen zur Badesaison

20.06.2024

Es ist Sommer, die Kleider werden weniger und die Körper von Menschen sind dabei den kritischen Blicken anderer Menschen ausgesetzt. In der Badi, am See oder einfach auf den Strassen sieht man Menschen, die mit ihren Körpern (und mehr oder weniger Kleidern) der Hitze trotzen. Meist bilden wir uns schnell ein Urteil über die Körper der anderen. Und oft auch über unseren eigenen. In diesem Zusammenhang möchte ich Euch von einem Selbstversuch erzählen - einem Selbstversuch bezüglich meiner Körperbehaarung.  

Seit meiner Teenagerzeit in den 90-er Jahren rasiere ich meine Körperhaare. Die an den Beinen, die unter den Achseln und die anderen auch. An gewissen Körperstellen war das einfacher und an anderen war das mit mehr Verrenkungskunst und der Angst, sich dabei zu verletzen, verbunden. Und dann hatte es auch immer zur Folge, dass, sobald die Haare wieder wuchsen, es zu piksen und zu jucken begann. Es kostete mich Zeit, Nerven und Geld. Und so habe ich im letzten Jahr beschlossen, auszuprobieren, wie es mir geht, wenn ich meine Körperhaare spriessen lasse. 

 

Ich habe blonde Haare und meine Beinbehaarung sieht man kaum, von weitem erst recht nicht. Und trotzdem fühlte ich mich unwohl. Ich hatte das Gefühl, dass alle sehen würden, dass ich unrasierte Beine habe, und dass man mich als ungepflegt einschätzen würde. Als jemanden, die sich keine Mühe gibt und die auch ein bisschen eklig ist. Woher kommen solche Gedanken? Die Antwort liegt auf der Hand: Werbung und Schönheitsindustriebombardieren uns mit sogenannten Idealen und Vorgaben, wie der weibliche Körper zu sein hat, damit er «ansehnlich» ist. 

Die noch grössere Herausforderung war, als ich im Hochsommer das erste Mal im Trägershirt in die Öffentlichkeit ging. Ich habe mich kaum getraut, meine Arme zu heben, weil sich darunter ein kleiner Busch hellbrauner Haare versteckte. Obschon seit Mitte der 2010er Jahre Frauen wieder vermehrt Körperbehaarung tragen, ist die durchschnittliche Achselhöhle glatt wie ein Kinderpopo. Und obschon ich weiss, dass die Haare im Achselbereich gerade für die Temperaurregulierung und für den Abtransport von Schweissperlen nützlich sind, war ich beschämt und fühlte mich unbehaglich mit meiner Haarpracht. Die Idee, dass glatte und haarfreie Haut als sauber und kultiviert gilt, hatte sich in meinem Kopf festgesetzt. Ich musste mich also erstmal mit meinem Selbstbild auseinandersetzen. Was für ein Mensch bin ich, wenn ich Haare unter den Achseln trage? Wie passen diese Haare ins Bild der gepflegten Person, die sich um sich und ihren Körper kümmert? Gleichzeitig bemerkte ich, dass der Anblick von anderen Frauen mit Achselbehaarung eine Wirkung auf mich hatte. Mein visuelles Verarbeitungszentrum war an dieses Bild nicht gewohnt und mein Blick blieb unweigerlich daran hängen. Ich empfand Faszination und Befremden zugleich. Ich fand diese Frauen mutig und unverfroren und zugleich irritierte es mich. Und das im Wissen, dass ich ja auch Haare unter den Achseln habe. Heute freue ich mich, wenn ich andere Frauen mit Haaren sehe und fühle mich als Schwester im Geiste. 

Vor einiger Zeit war ich mit einer befreundeten Person im Ausgang - wir waren tanzen. Es war laut und alle schwitzten. Die Stimmung war Bombe. Vor uns tanzte eine Frau mit Achselhaaren ausgelassen zu «Karma Chameleon». Meine Begleitung beugte sich zu mir vor und meinte: «Unrasierte Frauen sind einfach eklig.» Ich fühlte mich seltsamerweise ertappt, lief rot an und hatte das Gefühl, falsch zu sein. Die Stimmung war, mindestens für den Moment, dahin und ich war unsicher: Soll ich mich nun auf eine Diskussion einlassen oder macht es im lauten Club eh keinen Sinn? Ich habe mich ab jenem Moment auch nicht mehr getraut, mein Shirt auszuziehen. Ich wollte nicht als eklige Frau wahrgenommen werden. Im Nachhinein wünschte ich, ich wäre mutiger und selbstbewusster gewesen. 

Darum liebe Frauen* (und Mitmenschen): Lasst uns unsere Körper liebevoll betrachten, den eigenen und auch den von Anderen. Körper sind grossartig! Sie leisten Unglaubliches - jeden Tag. Ohne unseren Körper würden wir nicht existieren. Körper sind behaart, wellig, kurvig, weich, samtig, fein, zierlich, heiss, kräftig, gedrungen, fest, robust, elastisch, feingliedrig, zäh, sehnig, geschmeidig, üppig und einfach einzigartig. Ich wünsche mir, dass wir wohlwollend mit unserem Körper sind, ihn wertschätzen und loben. Lasst uns jeden Morgen eine halbe Minute sexy unter der Dusche tanzen. Hemmungslos und frei. Streicht dabei mit Euren Händen über die Stellen eures Körpers, die ihr vor dem Spiegel nicht besonders mögt und achtet darauf, wie sich das anfühlt. Und bezieht auch Eure Körperhaare mit ein, denn je wohler und vertrauter wir uns damit selber fühlen, desto selbstverständlicher und selbstbewusster können wir auch in der Öffentlichkeit damit umgehen.

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Simone Haug
Sexual- und Schwangerschaftsberaterin / Sexualpädagogin